Roland Oesker: Das Gläserne Atelier Braunschweig
Heute nennt man es „Interdisziplinäre System-Bildung“. Damals waren es Ideen und Auswirkungen, Hoffnungen und Erwartungen, die beeinflusst waren von einer neuen Denkweise über die Zusammenhänge der Dinge in unserer Welt. Als die jungen Künstler Gerd Struwe und Roland Oesker das Kunstprojekt: „Gläsernes Atelier Braunschweig“ gründeten, war es eine besondere Aufbruchstimmung in ihrer Umgebung. Es war ein spürbarer Wind der Veränderung, der zu diesem Experiment motivierte.
Wahrnehmen, und Gestalten wurde damals zu einem neuen medialen Weltbild der Informationsprozesse. Das gehörte zu der neuen Ansicht, die aus dem Zeitgeist eine Aufbruchsstimmung machte. Aber daraus generierte die nächste Attacke auf das bisherige Fundamentale:
Fakten und Wahrheiten werden nicht vorgefunden. Sie entstehen in diesen unvorhersehbaren Informationsprozessen.
Unsere Kunst sollte in einem öffentlichen Bereich entstehen, als Ergebnis von Ereignissen, Zusammenhängen und Aktionen mit vielen Menschen, für die diese Kunst bedeutsam erfahrbar ist.
Ist es das Zufällige und Unvorhersehbare, das wesentlich ist, wenn das Neue entsteht? Lernen wir, dass Kunst wichtiger wird, wenn wir die Prozesse nicht planen und das ungeplante, von Ereignissen geformte als unsere Gestaltung erkennen? Das hat uns berührt und angetrieben.
Kunst ist nicht nur in seiner Wirkungsgeschichte sondern schon in der Entstehung ein gesellschaftlich-sozialer Prozess und die als Sturm empfundene Entwicklung der Bildmedien wurden als Bestätigung der These empfunden. Es war eine besondere Stimmung in dieser Zeit 1982. Ein Wechsel der Denkrichtung, das Wort „Paradigmawechsel“ schlich durch die Alltagsprache, obwohl es kaum hörbar war.
Wir wollten Zeichen und ihre Wirkung nicht in der üblichen Weise gestalten. Nicht mit Absichten und Plänen und vorhersehbarer Suche nach der Form, die eine vorgefasste künstlerische Absicht erfüllt. Es galt etwas bereit zu stellen für Vorgänge und Ereignisse, die wir nicht erwarten, nicht bestimmen oder lenken. Prozesse aus den Impulsen der Kommunikation der Begegnungen im Gläsernen Atelier. Fragen kamen nicht von uns, den Künstlern, erst recht nicht die Antworten. Nicht das materielle Werk, nicht das Zeichen, nicht die zu gestaltende Form stand im Zentrum, sondern die Besucher.
Alle Aufmerksamkeit richtetet sich auf die Besucher, auf die Menschen die zufällig, auf ihren Alltagswegen, aus einem kulturellem Interesse, durch Hinweise in den Medien u.s.w. auf den Platz in der Stadt zusammenkamen. Ihr Wunsch Informiert zu werden, tätig zu werden, an einer Diskussion beteiligt zu sein, brachte sie in den Zusammenhang der Kunst-Aktion. Dabei stellten diese Menschen durch ihre Tätigkeit sich selbst in die Mitte des Wirbels aus Diskussion, Interaktion, Kommunikation und kreativer Produktion. Sie wurden im Gläsernen Atelier „selbst-tätig“. Nicht fremde Objekte sondern Ihre eigene Persönlichkeit und das eigene „persönliche Wissen“ und die Weiterentwicklung von beidem war Gegenstand, Ziel und Zweck ihrer Tätigkeit. Und wir die Künstler Gerd Struwe und Roland Oesker wir wollten Zeichen und Wirkung gestalten, gemeinsam mit vielen Menschen, die das Thema bestimmten.
Natürlich waren wir zu der Zeit nicht in der Lage, eine solche Analyse für unser Vorgehen zu erstellen. Wir reagierten auf den allgemeinen Diskurs in der Gesellschaft. Dabei sahen wir uns gefordert mit möglich vielen Menschen zu arbeiten, Wirkprozesse anzuregen und das Unvorhersehbare als Chance zu sehen. Und das Bild, seine Bedeutung als Medium der Kommunikation, als Mittel zu Erlangung von Information, Verarbeitung von Vorstellungen und Gewinnung von persönlichem Wissen und Erkenntnissen? Das war für uns spürbar, einem Wandel unterworfen.
In allen Bereichen: Information, Kultur, Unterhaltung, Kunst und Wissenschaft.
Da war zuerst die Flut der Bilder, dann die Nachfrage, der Hunger nach immer mehr Bildern. Dann die kommerzielle Ausbeutung der Menschen, die glaubten, dass Bilder die ihnen wichtig sind, für ihren Alltag bedeutsam sind, als Massenartikel angeboten werden und in Massen gekauft und bezahlt werden müssen. Die Grundlage für das heutige digitale Netz der Bilder entstand.
Das digitale Bild verändert die Menschen, die auf diese Bilder schauen.
Bilder und die Bedeutung ihrer Inhalte und Botschaften erhielten einen neuen Stellenwert. Die neuen technischen Möglichkeiten der digitalen Bilder öffneten einen neuen Blick auf die Gestaltung der Zukunft. Auch das Gläserne Atelier der Künstler Gerd Struwe und Roland Oesker war davon beeinflusst, folgte dem Neuen, dieser Anziehungskraft der Zeit. Wir wollten ausdrücklich mit vielen Menschen, mit vielen Meinungen, Wünschen und Aussagen, umfangreicher Kommunikation künstlerische Botschaften generieren.
Die Wissenschaft hatte in den neuen bilderzeugenden Techniken nun Werkzeuge für die Forschung und Ergebnisse und Begründungen für Theorien, die mit den analogen Bilderzeugungen nicht möglich waren.
So war es nun möglich großen Datenmengen z.B. in Simulationen zu verarbeiten, mit dem Ergebnis, dass aussagekräftige technische Bilddarstellungen entstanden, die man nicht erwartet hatte.
Das war auch etwas für unsere Kunstauffassung: Viele Menschen, Meinungen, Informationen, Daten aus dem sich ein Ganzes entwickelt, das nicht so einfach vorhersehbar ist. Die Simulation der sozialen Prozesse als Kunst-Kunst als soziale Veränderung durch das Erleben der aktiven Tätigkeit in der Kommunikation der Kunst-Simulation.
Natürlich waren die Wirkungen und Folgen dieser Entwicklung der technischen und wissenschaftlichen Bilder für uns nicht vollständig transparent. Wir waren aber Teil der gesellschaftlichen Diskussion und Reflektion der aktuellen Vorgänge. In diesem Zeitgeist wurde die Aufmerksamkeit auf Prozesse gelenkt, die bisher unbeachtet blieben. Da wollten wir dabei sein und Neuland betreten! So entstanden die Objekte und Zeichen der Beteiligung und Kommunikation mit den vielen Menschen, die wir im Gläsernen Atelier zu den Aktionen motivieren konnten.
Es entstanden farbigen Zeichen, Symbole, Figuren und Bilder, verbunden und aufgetürmt zu einem Turm der deutlich sichtbar auf einem öffemtlichen Platz sicht bar war. Aber das war nicht das eigentliche Kunstwerk. Es war nur ein sichtbarer Ausdruck.
Das Kunstwerk war das Zusammenbringen der Menschen, die durch die Attraktivität des „Gläserenen Ateliers“ aktiv wurden
und Ihre Gemeinsamkeiten entdecken konnten. Sie hatten gemeinsame Wünsche und Vorstellungen und Ärgernisse über Mißstände
in Ihrer Lebensumgebung.
Streßfrei konnten sie sich artikulieren in künstlerischen Erlebnissen.
Es entstand eine grosse -bunte, auffällige Botschaft und sie ging auf eine Reise durch die Stadt. Die grosse Figur konnte auf Plätze und Orte in der Stadt aufgestellt werden. Für mehrere Wochen blieb die Figur auf dem Platz der Stadt stehen, der die größte Unzufriedenheit bei den Bürgern der Stadt aus gelöst hatte.